Vor neun Jahren feierte ich das erste Mal Weihnachten in Chemnitz.
Damals war es das exotisch-liebenswerte Großstädtchen ganz weit hinten, unbekannt bei den meisten. Das Aschenputtel neben Dresden und Leipzig, so wie mein Stadtteil Sonnenberg der mit dem schlechten Ruf. Beide zeigten mir immer mehr seine guten Seiten. Alte und viele neue, die sich von sanierten Bauten bis zu einem bunteren Stadtleben mit neuen Bewohnern entwickelten. Und die ich erst mit dem privaten Blog und dann mit dem Auftrag der Sonnenberg-ÖA nach Kräften an die Öffentlichkeit brachte und bringe.
Doch da mit einem Mal wurde Chemnitz Ende August auf eine andere Stufe medialer Präsenz katapultiert. Der Sonntagmittag beim Stadtfest, als ich die Nachricht las, ein Mann sei von einem Flüchtling erstochen worden, weil er Frauen beschützen wollte. Später die Meldung der Polizei, der Grund sei nicht erwiesen, aber da war es schon zu spät. Schlimm genug, dass ein Mensch erstochen wurde, da hatte jemand bei der BILD auch noch ein Feuerzeug an ein Pulverfass gehalten. Auf dem Weg später ins Stadzentrum begegnete mir erst eine jüdische Einwanderin, dann eine in der Flüchtlingshilfe aktive gebürtige Libanesin, beide mitKopfschütteln, Entsetzen, was da in der Stadt los sei. Da war der erste Aufmarsch der rechten Hooligans und Konsorten gelaufen, mit der Hetzjagd auf Flüchtlinge an der Zentralhaltestelle. Als ich am Montagabend die Zeit bei den Freunden des Opfers verbrachte, lief die große rechte Demo, aus der heraus Gegendemonstranten angegriffenwurde, weil die Polizei nicht stark genug war. Schlimme Bilder waren zu sehen, wie Rechte zu einem aus seiner Wohnung filmenden jungen Flüchtling hochschauten und die Geste des Halsabschneidens machten.
Mit Zaher und Massumeh bei der Kundgebung der Kirchen am 2. September.
Das betraf mich in starkem Maße, zuerst als Vorsitzende derBrückenbauer Chemnitz e. V., als Mitstreiterin dieserFlüchtlingsarbeit. Dass der Osten für sie nicht so toll ist, mehr Fremdenfeindlichkeit, weniger Infrastruktur durch länger ansässige Landsleute, das fanden die Geflüchteten sowieso schon. Aber jetzt bekamen auch die Unerschrockenen Angst. „Dazu muss etwas gesagt werden auf der Kundgebung der Kirchen am Sonntag“, fand ich. Und wurde mit eingeladen, so dass Zaher Ataie, Sadegh Moussavi undMassumeh Banbertina und andere ihre Situation deutlich machenkonnten. Das Reden von mehr Abschiebung muss aufhören, das nehmendie Rechten nur als Bestärkung für ihre Angriffe, mahnte ich.
Stark engagiert war ich natürlich auch politisch, machte selbst bei Gegendemonstrationen mit. Wir mussten erleben, wie der Beamte, der eigentlich für den Schutz der Verfassung zuständig war, sich ins Zentrum einer Nebendiskussionstellte, ob es „Hetzjagden“ gegeben habe. Als ob wir nicht genug Straftaten typisch rechter Couleur erlebten in den kommenden Wochen.
Nein, abwiegeln hilft nicht, das wusste ich als Journalistin und langjährige Pressesprecherin genau. Mit dieser beruflichen Seite war ich auch wieder gefragt, obwohl ich erst recht keine Zeit hatte, selbst Artikel zu schreiben. Aber das Kölner Domradio interviewte mich, dort hatte jemand den Blog gelesen.
Und ich wurde von Flüchtlingen angesprochen, etwas in die Öffentlichkeit zu bringen. Zunächst bei einer schönen Geschichte, wie einige von ihnen einen Suizidanten vom Sprung in den Tod abgehalten hatten.Da war gerade ein Iraner auf der Schlossteichinsel von der Gruppe„Revolution Chemnitz“ verletzt worden: „Wir werden von Deutschen angegriffen, aber wir helfen Deutschen“, sagten sie.
Und dann, als der Besitzer des persischen Restaurants Safran attackiert wurde. Als ich mich 2015 an einer Serie politischer Friedensgebete in der Innenstadtkirche St. Jacobi beteiligt hatte, hatte ich den Besitzer mit seiner Unterstützerin dazu eingeladen. Es ging um Lage von Flüchtlingen aus dem Iran. Erst im April hatte er sein Lokal eröffnet. Als dort Scheiben eingeschlagen wurden, ein Hakenkreuz aufgeschmiert, telefonierten wir von derChemnitzer Brücke aus mit dem Wirt, als gerade unser Bürgerpolizist zur Sprechstunde da war. Kurze Zeit später war der Wirt selbst angegriffen worden. Er lag im Krankenhaus und war hin- und hergerissen zwischen der – auch seelischen – Verletzung und dem Gefühl, nicht aufgeben zu dürfen, „sonst hätten die Nazis gewonnen“. In diesen Tagen durfte ich ihn bzw. die kleine Truppe inseinem Lokal begleiten, helfen, mit dem Medienansturm klarzukommen – eine besondere Etappe meiner Krisen-PR. Und erlebte, wie er wieder genas und zum starken Sprecher wurde. Wenn er seinen Satz zum x. Malewiederholte, dass 90 Prozent der Chemnitzer nicht böse seien, dann war er viel glaubwürdiger als die Empörten, die sich über dieMedien aufregten.
Auch selbst wurde ich gefragt, sprach mit Journalistinnen und Journalisten, gerne in der Chemnitzer Brücke. Oft war es mehr ein Hintergrundgespräch, ich vermittelte andere Partner, zum Beispiel Thaer Ayoub, der als Syrer für seine neue Heimat Chemnitz kämpft. Manchmal wurde ich auch selbst zitiert.
Durch die Dramaturgie der rechten Angriffe, einer nach dem anderen, danach der 9. November, dann der Besuch der bei den Rechten verhassten Kanzlerin, war für die „Weiterdrehe“ gesorgt.
Und jetzt kommt Weihnachten – wieder ein Anlass, nach #Chemnitz zu schauen, weil der Kontrast zum Weihnachtsmarkt so prägnant ist. „Mölln“ und „Rostock-Lichtenhagen“ sind Symbole geworden, da hat es meine Stadt noch besser, weil hier mehr los ist. Wir müssen nur entschieden fremdenfreundlich handeln, nicht bloß abwarten, dass es „wieder ruhig wird“. Ob das gelingt? Wir beten dafür.
Freunde aus der Chemnitzer Brücke basteln Sterne mit Kindern und Erwachsenen im Tietz bei der Interkulturellen Weihnachtsfeier.
Weihnachten feiere ich wie in den Vorjahren mit Flüchtlingen. Wir feiern den Geburtstag von Jesus, den etliche zu ihrer Freude als Erlöser kennen gelernt haben. Ich war in diesem Jahr öfters bei Taufen zu Gast. Ja, es sind nicht so helle Zeiten der Geschichte wie vor neun Jahren, als ich mitten im der ungetrübten Feierfreunde „20 Jahre friedliche Revolution“ hier ankam. Ja, wir brauchen Hilfe, die Chemnitzer Brücke wünscht sich Spenden. Aber ich fühle mich am richtigen Fleck. Es war ein anstrengendes Jahr. Immer wieder werde ich danach gefragt, gerade in dieser weihnachtlichen Zeit. Hier erzähle ich. Und wünsche von Herzen eine aufmerksame Adventszeit und fröhliche Weihnachten.