Das Narrativ

„Wir brauchen ein neues Narrativ“, hieß es vor dem Bundestagswahlkampf aus meiner grünen Partei. Menschen haben das Gefühl,  dass in Sachen Umwelt schon viel getan wird. Die Botschaft der Fukushima-Katastrophe, dass die Atomkraft auch in einem westlichen Land nicht sicher ist, war nicht mehr neu und packend. Die zahllosen Briefe der Energieversorger an die Haushalte zu den Erhöhungen der EEG-Umlage hatten die Energiewende in ein schiefes Licht gerückt.

Und dann das, was als „Flüchtlingskrise“ bezeichnet wird. Da lautet die sinnstiftende Erzählung in den Köpfen der Noch-nie oder Nicht-mehr-Grün-Wähler: „Es gibt massenhaft Probleme in der Welt, aber Deutschland ist überfordert, wenn alle Flüchtlinge zu uns strömen. Das hat das Chaos Ende 2015 ja gezeigt. Und die Grünen sehen das nicht realistisch genug. Ihre Politik hat sich aus untauglich erwiesen.“

Die wahre Erzählung ist: Die Grünen haben immer gesagt, dass die Abschottung Deutschlands durch die Dublin-Regeln falsch ist. Dass sich da ein Problem aufstaut.  Sie haben während des Syrien-Krieges mehr Kontingente für schutzbedürftige Kriegsflüchtlinge gefordert. Sie fordern schon lange vergeblich ein Einwanderungsgesetz. Sie bestimmen weder in der Bundesregierung die Asylpolitik noch in den meisten Ländern, wie sie umgesetzt wird. Hier in Sachsen hat Petra Zais, die migrationspolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zum Beispiel schon 2013 einen Ausbau der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz-Ebersdorf gefordert. Wurde auf die lange Bank geschoben.

Was läuft alles schief! In den Blogbeiträgen der letzten Jahre habe ich Beispiele genannt. Dazu kam die Aussetzung des Familiennachzugs. Die Hoffnung aus den Sondierungsgesprächen zur Jameika-Koalition haben sich zerschlagen. Was hat diese Politik, erst sich abzuschotten und  dann mit einer unklaren Botschaft die Grenzen zu öffnen, für Schaden angerichtet? – Dass ein AKW havariert, kann man den Grünen nicht in die Schuhe schieben. Aber bei allem, was mit Flüchtlingen los ist, sind sie irgendwie mit schuld, denn sie setzen sich ja für sie ein. Ja, aber doch nicht für diese Bedingungen!

Warum erzähle ich das alles? Selbst erlebt habe ich viele schöne Geschichten: mit der Flüchtlingsarbeit der Brückenbauern Chemnitz, etwa bei der Fahrt nach Buchenwald. Die unterstütze ich auch als Vorstandsmitglied, was sehr viel Freude macht. Das erste Mal im Leben seit der Studienzeit bin ich so viel ehrenamtlich aktiv. Und privat habe ich wertvolle, lern- und hilfreiche Beziehungen zu geflüchteten Menschen. Politisch wären ein Mix aus Asyl-, Migrationspolitik und Hilfe vor Ort richtig. Mein Narrativ ist rund. Hier in Chemnitz gibt es zudem den Vorteil der demographischen Randlage: keine ausländischen jungen Leute auf der Straße heißt: keine bzw. viel weniger  junge Leute auf der Straße. Ich will das nicht.

Aber wie kriegen wir das Narrativ in mehr Köpfe und „Bäuche“ hinein? Ganz einfach und deshalb so schwer: Es muss wahr sein.

  • Die Regierenden müssen mit ganzer Kraft Richtung Integration gehen statt mit Abschreckung das zerstören, was andere versuchen aufzubauen.
  • Und die Verwaltungen müssen allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Respekt und Freundlichkeit zeigen.
  • Rechtsverstöße müssen schnell geahndet werden.
  • Die geflüchteten Menschen müssen als Manager ihrer neuen Existenzgründung angesprochen werden, jedenfalls die große Mehrheit, die dazu in der Lage ist. Das Jobcenter ist den Umgang mit Menschen mit ganz anderen Voraussetzungen gewohnt.
  • Deutschland muss international gegenüber potentiellen Flüchtlingen und Migranten intensiv kommunizieren, sich und seine Bedingungen erklären. Letztes Jahr habe ich diesen epd-Artikel über Gerüchte verlinkt, nun fand ich dies Interview mit der zitierten Expertin „Die Mythenzertrümmerin“. Bitte nicht lesen ohne ihre letzte Antwort: „Hungernden Menschen, denen Bomben auf die Köpfe fallen, können wir nicht erklären, dass sie bleiben sollen. Unser Ziel ist es, Ausbeutung, Menschenhandel und Missbrauch zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass Menschen ihre Entscheidungen auf der Basis verifizierter Informationen treffen. Wer nicht unbedingt weg muss, überlegt es sich vielleicht. Leider denkt Europa sowohl geografisch als auch zeitlich viel zu kurz. Wenn Flüchtlinge in der Region ein Einkommen und ihre Kinder eine Ausbildung haben, bleiben sie; wenn nicht, gehen sie. Für Flüchtlinge, die keine andere Wahl haben, braucht es legale Wege, um in Europa Schutz zu finden. Sonst treibt man sie den Schleppern in die Arme.“

Meine Bastelarbeit mit Kindern beim Kiezweihnachtsmarkt vor der Tür. Ganz einfach. Leuchtet 🙂

Warum erzähle ich das? Weil ich anderer Stelle so viel kommuniziere, hat sich mein persönlicher Blog zu einer Art Jahresschlussrede entwickelt. Zu einer Art Weihnachtsbotschaft. Ich halte hier fest, was mir wichtig scheint. Als ich den letzten Text von 2016 las, hätte ich ihn fast erneut übernehmen können. Doch tun sich neue Problemhorizonte auf. Wenn wir selbst in einem stabilen Land mit halbwegs abgefederten sozialen Gegensätzen leben wollen, dann müssen wir auch klären, wie wir mit denen umgehen, die einen Krumen davon abhaben wollen. Berechtigterweise. Das Kind in der Krippe, was mit immer härterem Geschenkaustausch „gefeiert“ wird, hat jedenfalls später den Weg der Liebe gepredigt. Und zwar nicht als Moral, sondern Lösung.

„Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst“, das ist der realistischste Lösungsvorschlag, den ich kenne. Weil dahinter die größte Macht steht. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

P.S. Hier ist der Weihnachtsrundbrief der Chemnitzer Brücke. Ich wünsche mir dies Jahr ganz konkret Spenden für die Arbeit, konkret für die Johns Anstellung. Seine Frau ist übrigens Journalistin und hat mir kürzlich einen ganzen Packen Belegkopien ihrer Artikel gezeigt.

 

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