„Und im neuen Jahr 2015 verfolgen wir die weltweiten Umwälzungen und ihre Auswirkungen bis nach Chemnitz und überallhin. Dafür hoffe ich auf Offenheit, etwas zu erkennen und die Bereitschaft, es zu tun.“
Gerade las ich meinen Weihnachtsblogbeitrag vom letzten Jahr, der mit diesen Worten endete. Klingt direkt prophetisch. Aber ich habe über den wachsenden Onlinehandel geschrieben, nicht über Flüchtlinge. Was habe ich dies Jahr gelernt?
- Die Hoffnung auf Offenheit und Bereitschaft, die ich formuliert habe, richtet sich beim Thema Flüchtlinge auch an mich selbst. Als Syrer auf unsere Etage gezogen sind, brauchte ich erst eine Weile, um die Fremdheitsgefühle zu überwinden. Heute sind nachbarschaftlich-freundschaftliche Beziehungen gewachsen. Ich habe Verständigung mit Händen und Füßen und technischen Hilfsmitteln gelernt.
- Dass Not anders wirkt, wenn sie ein Gesicht kriegt, dass Hilferufe eher gehört werden, wenn sie uns aus der Nähe erreichen, dass einzelne Not nicht so mobilisiert wie die große Zahl, das weiß ich aus der Obdachlosenhilfe in Hamburg, die durch Hinz & Kunzt verändert wurde. Und aus dem großen Tsunami mit vielen betroffenen deutschen Weihnachtsurlaubern. Aber diese Beispiele waren winzig, verglichen mit dem Zuzug der Flüchtlinge. Es ist nicht mehr die Not einer begrenzten Gruppe oder fern ab, sondern vielfältig und massiv. Ein riesiges Thema Nr. 1.
- Ein „Wir schaffen das“ öffnet zwar die Tür, welche das verquere Dublin-Abkommen geschlossen hatte, aber macht keine jahrzehntelange praktische Abschottung wett. Kein Wunder, dass bei der Aufnahme der Flüchtlinge Chaos herrscht. Zum Beispiel las ich heute, dass mit einem Flüchtlingsausweis die Doppelerfassung von Daten beendet werden soll. Oder gestern, dass die Flüchtlinge in Sachsen eine Infobroschüre in ihrer Sprache bekommen sollen. Das hätte ich nicht für etwas Neues gehalten, aber es ist so, das habe ich in diesem Jahr gelernt. Und wer weiß, was aus diesen Ankündigungen wird. „Change by design or by desaster?“
- Probleme schaffen Verdruss bei denen, die sie erleiden. Aber auch bei denen, die im wesentlichen zugucken, wie „die Verantwortlichen“ in der Krise stolpern. Ich habe gelernt, wie diese Mischung von Fremdheitsgefühlen, Unwissen, Verunsicherung und mangelnder Nächstenliebe zu Wut und Hass führen. Leider bietet meine neue Heimat dafür einen besonderen Nährboden. Einen Beitrag dazu habe ich hier geschrieben. Es ist bitter, die Umrisse der alten DDR in Karten der rechten Facebookseiten und gewalttätigen Übergriffe wieder zu erkennen.
- Nach dieser kritischen Aufzählung folgt in Kommentaren dann gern das Lob der ehrenamtlichen Hilfe. Auch das ist hier nicht so massiv sichtbar wie zum Beispiel in Hamburg. Aber es strahlt um so heller. Viele junge Leute wollen helfen, starten Projekte, organisieren sich selbst. Ich habe neue Leute kennengelernt. Und in unserem eigenen Projekt viel gelernt. Die „Brückenbauer Chemnitz e. V.“ habe ich erst nur unterstützt, dann wurde es mehr. Diese Website ist unser Tool für Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung. Hier bin ich ehrenamtlich aktiv. Den Heiligabend verbrachte ich mit Flüchtlingen in der Brücke.
- Beiträge mit solchen abgezählten Punkten hatte ich bisher nur leichte Lektüre gehalten, auf Klicks aus. Doch ich habe gelernt, dass Medien wie die HuffingtonPost, Bands und Prominente früher oder später sich lösungsorientiert in die Debatte einmischten. Auch die Freie Presse in Chemnitz mischt tapfer mit. Die Spaltung Deutschlands fordert heraus, Stellung zu beziehen. Es gibt keine einfachen Antworten, nur die eine Wahrheit, dass wir gemeinsam auf dieser Erde leben müssen. – Und ich glaube, dass Gott es uns ermöglicht, dass wir es schaffen, weil er uns allen die Erde gegeben hat.