Alle Beiträge des Monats August, 2013

„Betrug und Korruption in der Pflege“

Betrug und Koruption in der Pflege – heute sind die News-Einträge voll davon. Die Geschichte ist aus den Nachrichten der letzten Tage schnell verknüpft: Der Pflege-TÜV wird verschärft, und das System der Pflege ist von betrügerischen Geschäftemachern durchsetzt. „Schlimm, wer räumt da auf?“

Ich behaupte, es gibt keinen  Bereich in der Berichterstattung, der gleichermaßen in der Falle zwischen Unkenntnis, Betroffenheit und Business steckt. Da mögen die Genforscher und -bekämpfer, das Militär und die Pazifisten, dagegen halten.

Unkenntnis: Wer weiß, wie der Pflege-TÜV entwickelt wurde, auf welchen fachlichen Standards er aufsetzte? Das wissen viele Fachleute, immerhin. Wie viele gute Noten aber echt sind und wie viele durch Betonung der Doku und die entsprechende zielgerichtete Fortbildung der letzten Jahre entstanden, weiß niemand. Und fragt kaum jemand. Sinnvolle evidenzbasierte Systeme wie Wingenfeld-Engels kennen Journalisten nicht – mit Ausnahmen – 😉 . Einige trommeln zwar dafür, aber wenn die Bundesregierung eine Studie bezahlt und sie dann in der Versenkung verschwinden lässt, was dann?

Betroffenheit: Es geht uns alle an, wir werden alle älter, jeder in der Redaktion hat irgendwo seine eigene Angst oder mindestens die um Angehörige: was mache ich, wenn meine Mutter auch noch pflegebedüftig wird? Nicht zuletzt gibt es den SPIEGEL-Bestseller „Mutter, wann stirbst du endlich?“ Kriege sind weit weg, Gensoja kommt mir nicht auf den Teller (meine ich zumindest …), aber alt werde ich, wenn ich nicht jung sterbe. Das ist das Einfallstor für das reißerische Aufblähen, unter dem die Pflege so leidet und versucht, sich zu wehren.

Business: Ich sage selbst, meine Themen sind Pflege und Gesundheitswirtschaft. Klar ist es ein Business. Aber da müssen wir genau hingucken. Die Lebensqualität, die Beziehungen, die lebensnotwendige Zuwendung bis zum Schluss ist kein Business. Aber wieviel Zeit jemand hat, um diese Zuwendung praktisch werden zu lassen, hat viel mit Geld zu tun. Und seit im Neoliberalismus der Gedanke aufkam, dass der Markt die beste Steuerung sei, müssen die Pflegeeinrichtungen auf’s Geld gucken. Irgendjemand muss es bezahlen. Und am Ende sind es oft genug die Pflegekräfte selbst, die nicht auf die Uhr schauen. Schlimm, dass da Geschäftemacher, die aus diesem Business, weil es privatwirtschaftlich ist, den Profit rausziehen können, ihr Unwesen treiben und den Ruf aller schädigen. Dagegen muss man vorgehen, aber wie geht das?

So lange das System nicht anders ist, muss jemand für einen, der es braucht, Verantwortung übernehmen für die Pflege und alle Leistungen. Und das ist schwierig.

Die Marktideologie „Kunde-Dienstleister“ wird schon ewig von den Experten kritisiert, weil es eine Dreiecksbeziehung mit dem Kostenträger ist. Zum Beispiel können Angehörige sehr wohl entscheiden, wo die Hilfsmittel gekauft, aber sie müssen sich dann selbst kümmern. Als Beispiel: Weil wir unbedingt wollen, dass für den Rollstuhl keine große Hilfsmittelkette angefragt wird (aus Prinzip für kleine und mittlere Betriebe im Stadtteil), rufe ich bei der Kasse an und frage nach. Und die Ansprechpartnerin, die ich als hilfreich und kompetent in Erinnerung habe, schleudert mir als erstes ein „Da sind Sie bei mir ganz falsch“ entgegen, da sei der Kollege da und da zuständig. Gut, der war erreichbar, die Sache läuft. Aber Ermutigung zur kompetenten Marktteilnahme sieht anders aus.

Letztlich ist das wichtigste, sich die Betreuung durch vertrauenswürdige Dienstleister zu holen, also frühzeitig einen nicht-profitorientierten Pflegedienst einzuschalten. Und dann die Aufgabe anzunehmen. Wieviele machen sich als Laien zu IT-Experten, weil man mitreden will und es ja auch Geld kostet? Wie wär’s, sich mehr mit dem Alter zu beschäftigen?

P.S.: Gerade war der Text fertig, da kam diese PM von welchen, die sich noch wehren. Wie die wohl aufgegriffen wird?

Pflege nicht unter Generalverdacht stellen –  DEVAP kritisiert pauschale Vorwürfe
Berlin, den 15.08.2013. Zur breiten Berichterstattung zu einer Studie von „Transparency International“ erklärt Renate Gamp, Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege (DEVAP):  „Die Studie beschränkt sich leider in weiten Teilen auf Pauschalisierungen. Es gibt keine Zahlen, keine sonstigen Belege. Das führt uns sachlich nicht weiter. ‚Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Bereich der Pflege und Betreuung‘ – die Titelgebung ist unsachlich und irreführend, denn sie lässt vermuten, dass Betrug und Korruption die Pflege maßgeblich prägen. Im Text selbst fehlt die Einordnung, ob es um zwei oder 2000 Fälle geht. Auch gibt es Schwachstellen und sachliche Fehleinschätzungen.“

Renate Gamp weiter: „Es geht nicht darum abzustreiten, dass es auch im Bereich der Pflege zu Korruption und Betrug kommen kann – wie überall, wo Menschen arbeiten. Grundsätzlich muss dies, wie überall, eindeutig bekämpft werden. Aber von wenigen Einzelfällen auf eine gesamte Branche zu schließen, ist ein unzulässiges Verfahren“, stellt Renate Gamp klar. „Solche Berichte schaden dem Image der gesamten Pflege und dem Ruf von rund 24.000 stationären Pflegeeinrichtungen und Diensten, die sich nun zu Unrecht einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen. Das kritisieren wir scharf. Die Pflege hat es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden. Dagegen wehren wir uns.“

„Davon abgesehen stellen die Autoren zwar bekannte, aber richtige Forderungen auf, die auch der DEVAP seit langem erhebt“, erklärt die DEVAP-Vorsitzende. „Wie die Autoren fordern wir, den ‚Behörden-Dschungel‘ zu lichten. Die unübersichtlichen gesetzlichen Verordnungen und Verwaltungsregelungen verursachen den Einrichtungen und Diensten bei der Organisation ihrer Arbeit erheblichen Aufwand. Das ist Zeit, die für die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen besser investiert wäre. Und wie die Studienautoren kritisieren wir, dass die Pflegenoten die Qualität der Pflege nicht messen und setzen uns daher für einen Systemwechsel ein. Es ist sehr bedauerlich, dass die Medien allein die skandalisierenden Aussagen des Berichts aufnehmen, aber zu wenig über diese Ansätze zur Verbesserung des Gesamtsystems berichten.“